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BERIĆET – AUF JEDER SEITE DER SAVE

Gdje kuća nije tijesna, ni čeljad nije bijesna. – Wo das Haus nicht eng ist, streitet sich auch die Familie nicht.

Jetzt verstehe ich diesen Satz meiner Vorfahren. Ich habe ihn am eigenen Leib erfahren. Es war Krieg. Alle Generationen meines Hauses am Ufer der Save flohen in ein neues Zuhause, weiter flussaufwärts, entlang des gleichen Flusses. Wir flohen vor Kugeln und Granaten. Damals habe ich nicht gelitten. Ich war ein Kind und liess die Strömung der Save meine Träume und Erinnerungen wegspühlen. In unserem neuen Zuhause bauten wir Brücken der Liebe und Solidarität. Zagreb, moj grad. 

Zagreb, meine Stadt.

Der Krieg brachte auch Mangel mit sich. Erst jetzt, wo ich erwachsen bin, erkenne ich das rückblickend. Damals war ich glücklich. Jeden Tag, ohne Ausnahme, setzten sich mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, meine beiden Grossmütter und mein Grossvater an den Familientisch. Oh, welch’ Köstlichkeiten es gab. Eine Fülle von Geschmäckern und Düften. Es folgten die köstlichsten Salate, oppulente Mahlzeiten und die süssesten Kuchen. Es hat mich betroffen gemacht, als mich meine Mutter einmal fragte, ob ich mich an diese Kriegsjahre und den Mangel erinnere. Als hätten wir nicht dasselbe Leben gelebt.

So habe ich es nicht in Erinnerung behalten. Danke meiner Familie, meinen Mitbewohnern dafür. Meine neue Heimat hat uns Bescheidenheit beigebracht, aus knappen Zutaten Elixire für die Seele und den Körper zu schaffen. Wir wurden darin geschult, Bewahrer der Einfachheit und Pracht des Teilens von Lebensmitteln zu sein.

Aber eines erinnere ich mich. An mich, das Kind, das immer als letztes am Tisch blieb. Sehnsucht nach jedem Wort, jedem Rezept, das die älteren Familienmitglieder grosszügig mit den jüngeren teilten. Diese Rezepte waren arm an Zutaten, aber reich an Substanz – sie waren ein Geschenk der Natur. Und das hat uns meine Heimat ebenfalls gelehrt. Das Jahr wurde in Vorbereitung und Konservierung von Lebensmitteln unterteilt, sowie in das Geniessen dieser Spezialitäten in den Winterzeiten, wenn die Natur ruhte. Die Natur gibt viel, wir haben sie dafür respektiert.

Und so wechselten Jahr für Jahr nur die Menschen am selben Familientisch. Essen war nie eine Überlebensquelle, es war ein Teil des Lebens. Alle wichtigen Entscheidungen wurden bei Tisch getroffen, alle Versöhnungen erfolgten dort. Setz dich nicht wütend an den Tisch, warnte mich meine Mutter. Nikada ne sjedaj ljuta za stol!

Jetzt verstehe ich die Worte meiner Vorfahren. Čeljad. Kinder. Mnogo čeljadi. Viele Kinder. Es ging nicht um die Grösse des Hauses. Es geht um die Grösse des Herzens. Das Haus kann nicht eng sein, nur die Menschen sind eng, wenn sie es so gestalten. In dieser Welt ist der Familientisch ein Symbol für Gemeinschaft, eine Quelle für Nahrung. Für meine Familie war das Wenige, das sie in den Kriegsjahren hatten, viel. Alle waren willkommen, mit uns zu essen. Zusammen fanden wir einen Weg, uns an die neue Realität anzupassen. Wir schufen Mahlzeiten, die königlich waren.

Der Krieg endete. In das Familienhaus in der alten Heimat wurden zuerst ein Herd und ein Esstisch gebracht. Anfangs gab es keinen Strom. Mein Vater setzte sich mit seinem ersten Nachbarn, den er seit Jahren nicht gesehen hatte, und bei Kerzenlicht teilten sie Brot, das im Holzofen gebacken wurde. Es war ein Fest der Freundschaft und des Glücks. Oh, wie prächtig!

Und ich? Ich sehe heute noch meinen Grossvater, den ich nie kennengelernt habe, wie er am Holztisch sitzt und den letzten süssen Bissen wie immer auf dem Teller zurücklässt. Oma sagt, das hat ihn so glücklich gemacht. Es soll ein Segen bleiben. 

In meiner Heimat flussabwärts entlang der Save würde mein Grossvater sagen, das ist für den berićet. Für den guten Wunsch an diejenigen, die es nicht haben. 

Das Wort berićet lässt sich nicht übersetzen. Wenn sie jemandem alles Gute wünschen, Fülle von allem, Wohlstand sowohl geistig als auch materiell, dann haben sie berićet. Diese Gedanken guten Tuns und noch bessere Wünsche. Ich habe genug, aber aus Respekt vor denen, die nicht haben, lasse ich diesen Bissen auf dem Teller, und zwar den köstlichsten, den, der Sättigung bedeutet. Das ist der Reichtum, den mir mein verstorbener Grossvater beigebracht hat. 

Er starb im Jahr meiner Geburt und hat mir dieses gute Wünschen hinterlassen – meinen und seinen Berićet.

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